Was hat das neue Zuwanderungsgesetz wirklich verändert?

Deutschland steht im Wettbewerb um internationale Talente und das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das seit 2023 schrittweise in Kraft tritt, soll den Standort entscheidend stärken. Mit niedrigeren Hürden, mehr Flexibilität und klareren Perspektiven will die Reform Menschen aus Drittstaaten einen verlässlichen Weg in den deutschen Arbeitsmarkt eröffnen. Erste Zahlen zeigen, dass die Richtung stimmt. Entscheidend wird nun, wie Unternehmen und Verwaltungen die neuen Möglichkeiten nutzen.
Ein modernes Regelwerk
Kern der Reform ist die Flexibilisierung der Zuwanderung. Die Gehaltsschwellen für die Blue Card EU wurden gesenkt, wodurch nun auch jüngere Fachkräfte und Menschen in Engpassberufen leichter einreisen können. Erstmals können auch IT-Spezialist:innen ohne Hochschulabschluss, aber mit mindestens drei Jahren relevanter Berufserfahrung, eine Blue Card erhalten (Quelle: Bundesregierung, 2023).
Ein weiterer Baustein ist die Chancenkarte, ein Punktesystem, das sich an internationalen Vorbildern wie Kanada orientiert. Wer Qualifikation, Berufserfahrung, Sprachkenntnisse und finanzielle Mittel nachweist, kann ein Jahr lang nach Deutschland kommen und hier aktiv nach Arbeit suchen. Hinzu kommt die Westbalkan-Regelung, die ursprünglich 2016 eingeführt wurde und Staatsangehörigen aus den Balkanländern den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ermöglicht, unabhängig von formaler Qualifikation, solange ein Arbeitsvertrag vorliegt. Diese Regelung wurde entfristet und auf ein Kontingent von 50.000 Stellen pro Jahr ausgeweitet. Sie ist ein wichtiges Signal für Arbeitskräfte aus dieser Region.
Erste Ergebnisse
Die Zahlen sind vielversprechend. 2024 wurden rund 200.000 Arbeitsvisa erteilt - ein Plus von mehr als zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr (Quelle: WELT, 2024). Seit 2021 ist die Zahl der Erwerbszuwanderer sogar um 77 Prozent gestiegen (Quelle: Schengen News, 2025). Besonders die Blue Card gewinnt an Bedeutung: Sie ist inzwischen das wichtigste Einreiseinstrument für qualifizierte Fachkräfte und wurde 2024 häufiger vergeben als je zuvor.
Die Chancenkarte hingegen startet langsamer. In den ersten Monaten wurden nur einige Tausend Anträge gestellt, was vor allem daran liegt, dass das Instrument in den Herkunftsländern noch wenig bekannt ist. Hier liegt eine Aufgabe für Politik und Wirtschaft: das Verfahren aktiv zu kommunizieren und sichtbar zu machen.
Perspektive der Wirtschaft
Für Unternehmen eröffnet das Gesetz neue Spielräume, die nun gezielt genutzt werden sollten. Entscheidend ist, die passenden Instrumente - ob Blue Card, Chancenkarte oder Westbalkan-Regelung - branchenspezifisch auszuwählen und konsequent in die eigenen Recruiting-Strategien einzubinden.
Wichtig ist dabei, Zuwanderung nicht nur als kurzfristige Lösung für offene Stellen zu betrachten. Internationale Fachkräfte, die fair angeworben, sprachlich vorbereitet und kulturell begleitet werden, bleiben langfristig. Sie leisten nicht nur einen Beitrag zum Schließen von Fachkräftelücken, sondern stärken auch die Innovationskraft, Wettbewerbsfähigkeit und internationale Offenheit von Unternehmen.
Ein Vergleich mit anderen Ländern
Ein Blick ins Ausland zeigt, dass Deutschland mit der Reform aufholt, aber noch Luft nach oben hat. Kanada und Australien haben ihre Punktesysteme seit Jahren etabliert und punkten mit digitalisierten, transparenten Prozessen. Großbritannien hat für Mangelberufe Visa-Kontingente ausgeweitet und punktet mit klarer Kommunikation. Deutschland muss diesen Weg weitergehen: Das neue Gesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber es wird nur dann ein voller Erfolg, wenn Verfahren konsequent beschleunigt und digitalisiert werden.
Chancen nutzen
Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist ein Fortschritt, der Deutschland attraktiver und offener macht. Mehr Visa, niedrigere Hürden und neue Instrumente wie die Chancenkarte sind starke Signale an internationale Talente. Die Herausforderung liegt nun darin, diese Möglichkeiten bekannt zu machen, Prozesse zu verschlanken und Fachkräfte vor Ort gut zu integrieren.
Die Richtung stimmt. Jetzt braucht es den Schulterschluss von Politik, Verwaltung und Wirtschaft, um das Potenzial voll auszuschöpfen. Denn die Visa allein lösen den Fachkräftemangel nicht, doch sie schaffen die Grundlage, damit Deutschland die Menschen gewinnt, die es für seine Zukunft braucht.
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