New Work, old problems - warum flexible Arbeitsmodelle allein den Fachkräftemangel nicht lösen

Flexibilität als vermeintliche Antwort
Seit der Pandemie gilt Flexibilität vielen als der Schlüssel zur Fachkräftesicherung. Homeoffice, Remote Work und Hybridmodelle sollen Talente binden und neue Mitarbeiter:innen anziehen. Tatsächlich zeigen Studien, dass Unternehmen mit flexiblen Modellen weniger Kündigungen verzeichnen und attraktiver für Bewerber wirken (Quelle: Nature/Stanford, 2024). Kein Wunder also, dass viele Führungskräfte glauben, New Work könne das größte Problem der Wirtschaft lösen: den Fachkräftemangel.
Doch dieser Schluss ist trügerisch. Flexible Arbeitsmodelle sind wichtig, aber sie lösen das strukturelle Ungleichgewicht von offenen Stellen und verfügbaren Arbeitskräften nicht.
Demografie frisst Flexibilität
Deutschland verliert in den kommenden zehn Jahren Millionen Erwerbstätige durch den Ruhestand der Babyboomer. Schon im März 2025 waren 1,24 Millionen qualifizierte Menschen arbeitslos, während 1,15 Millionen Stellen unbesetzt blieben - ein klarer Hinweis auf Mismatch statt Mangel an Modellen (Quelle: Bundesagentur für Arbeit, 2025).
Selbst das attraktivste Homeoffice-Angebot kann diese Lücke nicht schließen. Denn die entscheidende Frage lautet nicht: Wo arbeiten Menschen, sondern ob sie überhaupt verfügbar sind. Flexible Modelle verteilen vorhandene Köpfe besser, aber sie schaffen keine neuen.
Nicht jeder Job ist „remote-fähig“
Viele Engpassberufe sind an Präsenz gebunden. Laut ifo Institut liegt das Homeoffice-Potenzial in Dienstleistungsberufen bei etwa einem Drittel, in der Industrie deutlich darunter und im Bau bei unter fünf Prozent (Quelle: ifo Institut, 2025).
Besonders betroffen sind Pflege, Logistik oder Handwerk - Branchen, die die größten Fachkräftelücken aufweisen. Hier hilft es wenig, wenn Wissensarbeiter:innen remote arbeiten dürfen. Der Fachkräftemangel entsteht genau dort, wo physische Präsenz unverzichtbar ist.
Flexibilität verschärft den Wettbewerb um wenige
Ein weiteres Problem: Remote Work öffnet Arbeitsmärkte global. Für hochqualifizierte Tech- und Wissensjobs konkurrieren deutsche Unternehmen plötzlich mit Arbeitgebern in den USA, Indien oder Osteuropa. Für die begehrtesten Talente steigt die Auswahl, für Unternehmen die Kosten. Damit verschiebt Flexibilität den Wettbewerb - sie verstärkt den Kampf um wenige, anstatt mehr Fachkräfte ins System zu bringen.
Mismatch bleibt ungelöst
Das größte Problem ist die Passung. Laut IAB haben über 40 % der Arbeitslosen eine Ausbildung - nur eben in Berufen, die kaum noch nachgefragt werden (Quelle: IAB, 2024). Flexible Arbeitsmodelle lösen diesen Skills-Mismatch nicht. Wenn ein Bauingenieur fehlt, bringt es wenig, dass ein Bürojob attraktiver geworden ist.
Hier helfen nur Weiterbildung, Umschulung und internationale Fachkräftegewinnung. Flexibilität ist ein Hygienefaktor - Weiterbildung und Qualifizierung sind die Hebel.
Warum Flexibilität trotzdem wichtig bleibt
Natürlich wirkt New Work positiv:
- Sie steigert Arbeitgeberattraktivität, besonders bei jungen Fachkräften.
- Sie reduziert Fluktuation, weil Mitarbeitende bleiben, wenn sie selbstbestimmt arbeiten können.
- Sie eröffnet Teilzeitkräften, etwa Müttern oder pflegenden Angehörigen, mehr Möglichkeiten, am Arbeitsmarkt teilzunehmen.
Doch all das reicht nicht, um die Fachkräftelücke von Millionen Erwerbstätigen bis 2035 zu schließen. Es lindert Symptome, aber heilt nicht die Ursache.
Flexibilität allein füllt keine Lücke
Flexible Arbeitsmodelle sind ein Muss in modernen Organisationen. Sie helfen, Talente zu binden und die Produktivität stabil zu halten. Aber sie sind kein Allheilmittel gegen den Fachkräftemangel.
Die demografische Entwicklung, die Grenzen der Remote-Fähigkeit vieler Jobs und der Skills-Mismatch bleiben bestehen. New Work ist damit eher ein Werkzeug der Arbeitgeberattraktivität, nicht die Lösung des strukturellen Problems.
Wer den Mangel wirklich bekämpfen will, muss Flexibilität mit systematischer Weiterbildung, besserer Integration und internationaler Fachkräftegewinnung kombinieren. Sonst bleibt der Schreibtisch vielleicht modern ausgestattet, aber der Schalter in der Pflege, im Handwerk oder in der Logistik leer.
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